Während der Planung und Durchführung der letzten Austauschprojekte mit unserer Partnerschule in Noida habe ich immer wieder versucht, die teilnehmenden Schüler bestmöglich auf die Begegnung mit der fremden, indischen Kultur vorzubereiten. Dazu trafen wir uns in den ersten Jahren wöchentlich und schauten uns Lehrfilme an, lauschten Referaten und übten uns sogar in kleinen Rollenspielen. All dies ist und war richtig und wichtig, denn ohne interkulturelle Vorbereitung ist ein Austauschprojekt dieser Größenordnung zum Scheitern verurteilt. Und doch gilt es – wie so oft im Leben – auch bei der Vorbereitung das richtige Maß zu finden.
All zu viel ist ungesund! Omne nimium nocet!
Teilt man den Schülern mit, dass ihr Traum von einer Austauschteilnahme Wirklichkeit wird, so setzt soft überschwängliche Begeisterung ein. Echte Freude macht sich breit und man kann es kaum erwarten, sich mit dem jeweiligen Partner aus dem Ausland in Verbindung zu setzen.
In den gemeinsamen Sitzungen wird das allgemeine Hochgefühl doch jäh gedämpft: „Denkt daran, dass Körperkontakt in Indien einen anderen Stellenwert hat als in Deutschland!“ „Vergesst nicht, euer Frageweise umzustellen, damit man den Gast nicht zu einem unhöflichen ‚Nein‘ zwingt!“ „Denkt daran, dass die Essenszeiten in Indien und in Deutschland unterschiedlich sind!“ Dies sind nur einige mahnenden Sätze, die ein Schüler im Vorfeld von der betreuenden Lehrkraft zu hören bekommt.
Dies sind durchaus wohlgemeinte Ratschläge, die auf den Erfahrungen der letzten Jahre basieren. Und einige der möglichen Fallstricke müssen durchaus angesprochen werden. Doch manchmal kann es auch zu viel sein.
Ich habe es erlebt, dass Schüler auf jede interkulturelle Besonderheit gelauert haben, geradezu, als ob sie eine Checkliste abarbeiten müssten. „Mögen die indischen Schüler tatsächlich so gerne Speiseeis? Ist das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern tatsächlich enger als in Deutschland? Wie schaut es mit den Radfahrkünsten einzelner Austauschteilnehmer aus?“
Die ersten Tage haben durch dieses „Abhaken“ von möglichen Fettnäpfchen ein wenig an Glanz verloren und die Möglichkeit den Partner unbefangen kennen zu lernen wurde durch den übermäßigen Ehrgeiz des Lehrers, ja alle Eventualitäten vor zu besprechen, zunichte gemacht.
Es gilt, das rechte Mittelmaß zu finden
Wie so oft gilt es also das rechte Mittelmaß in der Vorbereitung der Jugendlichen zu finden. Die Schüler sollen auf eine Begegnung mit einer unbekannten Kultur sensibilisiert werden, sollen lernen andere Denkweisen und Meinungen zu akzeptieren oder zumindest zu tolerieren.
Sie sollen aber auch angehalten werden, selbst herauszufinden, welche Unterschiede es in der jeweils anderen Kultur gibt. Und wie so oft überrascht die Schülergeneration die Lehrer und Eltern, indem sie ihren Fokus mehr auf die verbindenden Gemeinsamkeiten als auf die trennenden Unterschiede legen.
Und so haben wir auch dieses Jahr uns wieder getroffen, und uns über kulturelle Unterschiede ausgetauscht und wieder ein paar Szenarien in Form von kleinen Rollenspielen durchgespielt. Und auch am Elternabend wurden zwar Tipps für gemeinsame Aktivitäten gegeben, jedoch keine „Verhaltensregeln“ ausgeteilt. Die Erfahrung zeigt, dass die Schüler damit ganz gut klar kommen und auch kleine kulturelle Missverständnisse gut klären könne. Und für größere Probleme und Fragen während des Austauschs sind ja die Lehrkräfte immer in Reichweite.